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Möbel bauen statt Projektleitung
Vom Offizier zum Azubi: Warum ein Nordhorner seine Bundeswehr-Karriere aufgab

Von Julia Henkenborg | 23.10.2025, 08:51 Uhr

Marvin Vischer hat seine Karriere bei der Bundeswehr gegen einen Ausbildungsplatz in einer Tischlerei eingetauscht. Der 30-Jährige erklärt, wie es dazu kam und was sein neuer Job für ihn sowohl beruflich als auch privat bedeutet.

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Wenn Marvin Vischer heute an der Werkbank steht, riecht es nach Holz, Leim und frischem Sägemehl. Er hält das frisch furnierte Stück Holz gegen das Licht, prüft die Kante mit den Fingern, nickt zufrieden. „Das ist es, was ich wollte“, sagt der 30-Jährige. „Am Ende des Tages zu sehen, was ich gemacht habe.“ 

Noch vor einem Jahr sah sein Alltag ganz anders aus: Uniform statt Arbeitskleidung, Excel-Tabellen statt Werkzeuge, Verantwortung für Mitarbeiter statt Schleifpapier in der Hand. Vischer war Vorgesetzter bei der Bundeswehr, leitete Projekte, studierte Luft- und Raumfahrttechnik in München, hatte sich hochgearbeitet. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem er merkte: „Ich will mein Leben anders gestalten“.

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Vom Piloten-Traum zum Familienmenschen

Eigentlich wollte Marvin Vischer einmal in die Luft. Schon als Schüler am Gymnasium Nordhorn hatte er mit dem Segelfliegen begonnen, wollte Berufspilot werden. Weil er sich die zivile Ausbildung nicht leisten konnte, führte ihn sein Weg zur Bundeswehr. Im Assessment-Center kam er weit – bis die Ärztin sagte, seine Augen seien nicht gut genug. Doch er blieb: Studierte über den Bund, arbeitete sich hoch, fand Freunde fürs Leben. „Die Zeit hat mir gutgetan, ich habe viel erlebt.“

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Doch die Entfernung zur Heimat machte es nicht immer einfach. Wenn er am Wochenende in Nordhorn ankam, blieben kaum Stunden für Familie und Freunde. „Freitag und sonntags waren Reisetage. Und samstags musste ich mich entscheiden – Familie oder Hobby.“

Als seine Großmutter Anfang 2022 im Sterben lag und er zu spät kam, wurde ihm klar, dass er etwas ändern muss. „Ich sehe mich als Familienpapa“, sagt er. „Aber ich will nicht der Vater sein, der alles verpasst.“

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Projektmanagement - oder doch etwas Handwerkliches? 

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Lange überlegte er hin und her und entschied sich schließlich dafür, die Bundeswehr verlassen zu wollen. Was er stattdessen machen wollte, wusste er da noch nicht. Projektmanagement, dachte er erst – irgendwas, das zu seinem Studium passt. Doch dann kamen drei Menschen ins Spiel, die ihn auf einen ganz anderen Weg brachten: sein Opa, sein Vater und seine Frau.

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Sein Großvater, der als Einziger der Familie auf die Handelsschule sollte, hatte mit ihm als Kind oft gebastelt. „Er hat mir immer gesagt, dass er lieber was Handwerkliches gemacht hätte“, erzählt Marvin. „Einmal meinte er, als ich ihm etwas repariert hatte: ‚An dir ist ein Tischler verloren gegangen.‘“

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Frau Marie unterstützte ihn: „Mir ist egal, wie viel du verdienst“ 

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Auch sein Vater, der sich vom Maurer zum Geschäftsführer hocharbeitete, warnte ihn: „Geld ist nicht alles. Ich habe viel erreicht, aber auch viel verpasst“. Und schließlich seine Frau Marie, mit der er seit 2022 zusammen und seit vergangenem Jahr verheiratet ist. Sie brachte ihn auf den Boden. „Sie hat gesagt: Mir ist egal, wie viel du verdienst, solange du glücklich bist.“

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Vischer nahm seinen Jahresurlaub, machte Praktika in Tischlereien – und merkte schnell, dass das genau sein Ding ist. „Wenn du Möbel baust, die Leute sich lange wünschen und dann so glücklich sind, wenn sie endlich da stehen – das ist ein tolles Gefühl.“

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Unter 18-Jährigen im Berufsschulunterricht 

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Im Sommer 2025 hat er die Bundeswehr endgültig verlassen. Heute ist er Auszubildender bei der Tischlerei Wiggers in Klausheide – direkt im zweiten Lehrjahr eingestiegen. In der Berufsschule sitzt er zwischen 16- bis 18-Jährigen, die gerade erst die Schule verlassen haben. „Ich bin mit Abstand der Älteste“, sagt er und lacht. „Aber das stört mich überhaupt nicht.“

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Seine Kollegen schätzen ihn. Geselle Justus Odink sagt: „Marvin ist mein liebster Azubi. Der denkt mit, stellt die richtigen Fragen, sieht Arbeit. Da merkt man einfach, dass er das wirklich will – und dass er schon Lebenserfahrung hat“. Für Marvin ist der Rollenwechsel von der Chefposition zum Lehrling kein Problem. „Natürlich muss ich wieder lernen, Fehler zu machen und mir was sagen zu lassen. Aber das gehört dazu.“

Er bringt technisches Verständnis mit, aber Holz war für ihn Neuland. „Ich musste alles neu lernen – und auch das Lernen wieder lernen.“ Trotzdem fühlt er sich wohl, hat schnell seinen Platz gefunden. „Die Jungs nehmen mich überall mit hin, auch auf Montage. Das macht einfach Spaß.“

Langfristig will er mehr: die Ausbildung abschließen, vielleicht den Meister machen. „Ich möchte mich in dem Bereich weiterentwickeln, aber jetzt konzentriere ich mich erstmal auf die Ausbildung“, sagt er. 

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https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/handwerker-statt-bundeswehr-nordhorner-aenderte-seine-karriere-49429314

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